
Zwischen Müllbergen, Ratten und Fäkalien müssen die Geflüchteten in Samos leben. Fotos (c) Farnaz Nasiriamini.
Karam I. (27) kommt aus Gaza, Palästina. Seit knapp einem Jahr lebt er auf der griechischen Insel Samos. Dort leben nach offiziellen Angaben knapp 5300 Menschen, das überfüllte Flüchtlingslager war ursprünglich nur für knapp 600 Menschen eingerichtet worden. Die Geflüchteten dürfen die Insel nicht verlassen, weil laut Grundlage des EU-Türkei-Deals und des sogenannten Hotspot-Konzepts ihr gesamtes Asylverfahren auf der Insel erfolgen muss. Wegen der katastrophalen Zustände im Lager kam es zuletzt zu schweren Krawallen zwischen den Bewohnern, es folgte ein Brand.
Karam versucht Konflikte zu meiden und die Zeit bis zu seiner Anhörung zu überbrücken, die erst im Jahr 2021 stattfinden soll. Weil er keinen Platz mehr im Lager bekam, lebte er eine Zeit lang in einem Zelt im sogenannten „Dschungel“, einen Slum rund um das Flüchtlingslager herum zwischen Müllbergen und Ratten. Als er das nicht mehr aushalten konnte, beschloss er, sich stattdessen eine Holzhütte mit Zementboden im Dschungel zu bauen. Er war schon inmitten der Umsetzung, als ihm sein Vorhaben aus Umweltschutzgründen versagt wurde. Karam baute die Hütte trotzdem.

Karam vor seiner Hütte im Dschungel auf Samos.

Karams Planung zur Aufbau der Hütte mit einem Zementboden.
Ich lebe seit neun Monaten im Dschungel in einer Holzhütte, die von Plastikplanen umgeben ist. Als ich mit knapp 50 anderen Personen in Samos strandete, hat uns die Campaufsicht mitgeteilt, dass das Camp voll sei und wir uns selbst einen Schlafplatz suchen müssten. Ich bin dann losgezogen und habe neben dem Lager im Dschungel ein Zelt gefunden. So habe ich mit zwei Anderen drei Monate lang gelebt.
Es kam aber dann der Herbst und der starke Regen. Wir konnten uns nicht vor der Kälte und der Nässe retten. Egal, wie gut wir die Zelte verschlossen haben, das Wasser kam dann doch von unten rein.
Ein weiteres großes Problem sind hier die Ratten. Sie kommen, weil es diese Müllberge gibt. Außerdem haben wir keine sanitären Anlagen hier im Dschungel, das heißt, die Leute urinieren in den Ecken und lassen ihre Fäkalien liegen. Das treibt wiederum die Ratten an. Sie kommen abends und nachts, auch in die Zelte rein. Sie fressen sich durch alles hindurch. Ich hasse Ratten, das sind die schlimmsten Gestalten auf Erden. Deswegen habe ich versucht, sie loszuwerden. Dann kam mir die Idee, eine kleine Hütte mit einem Zementboden zu bauen. Ich wollte mir ein zu Hause bauen. Ich wusste, das ist schwer umzusetzen, aber das hat mich auch motiviert. Ich hatte noch nie zuvor irgendetwas gebaut.
Es sollte nicht viel Zement auf den Boden kommen, vielleicht ein Zentimeter, um eben zu verhindern, dass die Ratten sich durchbeißen und in mein zu Hause kommen können. Ich bin dann mit dem Bus in den Baumarkt gefahren und habe mir von den 90 Euro, die mir der Staat monatlich gibt, Holzplatten und Zement gekauft. Dann habe ich mir die Zementmasse mit Sand und Steinen zusammengemischt und auf den Erdboden verteilt.
Das haben die Sicherheitspolizisten wohl mitbekommen. Zwei von ihnen kamen dann auf mich zu, während ich gewartet habe, dass der Zementboden hart wird.
Einer sagte: „Das geht nicht, du zerstörst so die Natur. Das ist Umweltverschmutzung“. Ich habe dann gefragt: „Okay, aber wieso schützt ihr uns Geflüchtete nicht zuerst? Sind wir denn nicht Teil der Natur“?
Sie wollten dann meinen Ausweis und meine EC-Karte sehen. Sie dachten, ich hätte die Holzpaletten und den Zement geklaut. Ich habe ihnen dann die Kassenzettel gezeigt und damit bewiesen, dass ich alles selbst gekauft habe. Ich habe sogar der Umwelt zuliebe Holzpaletten gekauft, um die Wände der Hütte damit zu bebauen. „Bitte, erlaubt mir doch wenigstens mich selbst zu schützen, wenn ihr mir kein zu Hause geben könnt, oder ist auch verboten?“, fragte ich die Polizisten. Einer von ihnen sagte: „Es ist jedenfalls verboten, Zement auf den Erdboden zu schütten, weil das die Natur zerstört. Sie müssen sich irgendwie anders schützen.“ Die Sicherheitspolizisten wollten dann, dass ich vor ihren Augen den Zement wegräume. Ich bat darum, das später wegzumachen. Ich flehte sie an: „Bitte, ich hasse Ratten. Ich räume auch alles weg, wenn ich die Insel verlassen darf. Und ich werde um mich herum sauber machen. Seid doch froh, dass ich bereit bin, hier aufzuräumen. Wieso zerstört ihr meine Idee von einem sauberen zu Hause? Ich möchte doch nur in einer sauberen Umgebung leben.“
Doch die Polizisten lehnten es wieder ab. „Das ist nicht dein Land“, sagten sie mir.
„Ich weiß, dass es nicht mein Land ist“, antwortete ich dann. „Der Erdboden gehört nicht mir. Aber ich hatte keine Wahl, hierher zu kommen. Ich musste fliehen. Ich wohne nicht einmal im Camp, ich lebe in Dschungel, ohne Zugang zu Wasser und Strom. Dann lasst mich doch wenigstens in den Containern im Camp leben.“ Doch ich konnte die Polizisten nicht überzeugen. Schließlich erklärte ich ihnen, dass ich warten müsste, bis der Zementboden hart ist, damit ich ihn dann entsorgen kann. „Wir kommen morgen wieder, und bis dahin, ist das alles weg“, sagten die beiden Polizisten schließlich und gingen. Am nächsten Tag kamen sie aber nicht wieder, bis heute nicht. Ich habe den Zementboden nicht mehr weggeräumt, sondern dagelassen und meine Hütte darauf gebaut. Ja, ich habe mein Versprechen gebrochen, um mich zu schützen. Ich fühle mich schlecht, aber ich wollte mir selbst helfen.

Verwahrloste Umgebung um das Flüchtlingslager in Samos.

Ein Flüchtlingsmädchen beim Frühstück.
Ich bin nicht hierher gekommen, um Regeln oder Gesetze zu brechen. Ich bin aus einem Land geflohen, wo es keine Regeln gab. Ich bin hier, um die griechischen Regeln zu befolgen.
Ich war zunächst der einzige mit einer Hütte und dem Zementboden. Einige haben das dann mitbekommen und mochten die Idee und haben das dann auch nachgemacht, denn keiner will mit Ratten zusammenleben. Ich habe dann auch Moskitonetznetze gekauft und sie an die Fenster befestigt. Ich meine, wir leben im Jahre 2019 und nicht 1019. Jeder braucht wenigstens Wasser, Strom und Zugang zu Medizin. Wenn ich krank bin, kann ich keinen Arzt sehen. Es gibt nur einen für uns alle für absolute Notfälle. Da kannst du Monate warten und kommst nicht dran. Es ist wirklich schlimm, manche haben hier auch Tuberkulose, ich will mich nicht anstecken.
Die Umstände zwingen mich, die Regeln zu brechen, auch wenn ich nicht die Regeln brechen will. Griechenland tut so, als wüsste sie nicht, dass wir auch nur Menschen mit Gedanken und Gefühlen sind.
Menschen agieren und reagieren. Griechenland sieht dann nur unsere Reaktionen. Sie bauen sehr großen Druck auf uns auf, und das kann natürlich explodieren. Sie geben uns nicht einmal eine Lebensgrundlage wie Wasser, Strom, ein Dach über den Kopf.
Sie geben uns ab und zu etwas zu fressen, was auch noch oft verschimmelt oder von Würmern befallen ist, und dann wollen sie, dass wir zufrieden sind. Das kann so nicht funktionieren.

Die Mahlzeiten, die von offizieller Seite ausgegeben werden sind oft verschimmelt oder von Würmern befallen.
Ich weiß, wenn ein Land nichts hat, kann es auch nichts geben kann. Vielleicht hat Griechenland wirklich nichts. Vielleicht ist das, was sie uns geben, wirklich nur das, was sie haben. Ich will dankbar für sein, ich versuche es. Es ist aber so unwürdig, so zu leben. Die Zustände hier sind unwürdig.
Meine kleine Schwester vor einigen Wochen gestorben, da wollte ich so gerne wieder zurück nach Gaza. Aber ich konnte nicht zurückgehen.
Ich spreche mir immer wieder zu: was dich nicht umbringt, macht dich stärker.
Du musst mir wirklich beweisen, dass ich in der EU bin. Ich kann es nicht glauben, dass das die EU sein soll. Ich sollte lieber nicht fragen. Ich habe nach Sicherheit gefragt, sie haben sie mir gegeben, dafür haben sie mir alles andere genommen.

Die Geflüchteten müssen in dünnen Zelten auf Samos leben, ob Sommer oder Winter.
Karam I. (27) hat in Gaza einen BA-Abschluss in Communication and Languages (Englisch und Arabisch) an der Gaza University gemacht. Während des Studiums hat er einen Nebenjob als Hühnerzüchter gehabt. Eines Tages geriet er in das Visier der palästinensischen Polizei, als er versuchte, im amerikanischen Konsulat in Tel Aviv ein Visum zu beantragen, um seine Schwester in den USA zu besuchen. Kurz danach wurde er zur palästinensischen Polizeiwache bestellt. Dort wurde ihm vorgeworfen, als Spion mit der israelischen Regierung zusammenzuarbeiten. Seine Wertsachen wurden eingezogen, er musste beim Verhör Foltermethoden über sich ergehen lassen. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit der Polizei sah er sich gezwungen aus Palästina fliehen.
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