Über Hochhaus-Ghettos, Flaschensammler, Zeitarbeiter und fremde Tanten. Diese Shortstory wurde mit dem OVAG-Jugend-Literaturpreis 2014/15 ausgezeichnet.
Ich wollte nie berühmt sein. Viele mögen wahrscheinlich den Gedanken, eine wandelnde Ausstellung zu sein. Ein wandelndes Kunstwerk. Sie mögen es, immer und überall angesehen zu werden. Erkannt zu werden. Angestarrt zu werden. Emma zum Beispiel. Sie hat ja keine Ahnung.
Es gibt bestimmt auch Menschen, die genießen es, ständig von Fremden angefasst zu werden. Ich gehöre nicht dazu. Ich mag das nicht, wenn sie kommen und über meine Haut streichen wollen. Oder über mein Haar. Wie gesagt, ich wollte nie berühmt sein. Es gibt aber Dinge im Leben, über die entscheidet man nicht selbst. Das Schicksal, der Zufall oder eben Gott entscheidet darüber. Ich musste also das Schauspielen leben lernen. Ich wurde zum Kunstwerk gemacht. Aber ich wollte nie berühmt sein.
*
Emma hängt an ihrem Smartphone und spamt ununterbrochen in unsere WhatsApp-Gruppe. „Dieser Idiot. Das gebe ich mir nicht länger“, ruft sie mir zu.
Gruppen-Chat
EMMA (13:33 Uhr): erhan
EMMA (13:33 Uhr): erhaaaan
EMMA (13:33 Uhr): erhaaaaaan!!! das geht so nicht du kannst nicht immer auf dich warten lassen hatten 13 uhr gesagt
EMMA (13:34 Uhr): wir gehen jetzt rein!!!
ERHAN (13:37 Uhr): Sorry, ich bin gleich da..
EMMA (13:40 Uhr): wir sitzen schon drinnen.
SARA (13:40 Uhr): #SpamEnde
EMMA (13:41 Uhr): .
MAX (13:44 Uhr): Heute Abend nicht vergessen! ❤ :***
„Komm wir gehen rein, Sara“, Emma packt ihr Smartphone weg und zieht mich in unser Stammcafé. „Wir fangen schon mal an. Sonst wird das nichts. Wie war die Uni?“
„Ganz gut… Ich kann heute auch nicht so lang bleiben. Echt blöd, das mit Erhan. Er weiß doch, dass wir heute Zeit brauchen.“ Das Café ist klein, wir setzen uns hinten auf die Sofas in die Raucherecke.
„Ich habs dir gesagt, von Anfang an, mit dem sollten wir nicht zusammenarbeiten“, Emma lässt sich auf ein Sofa fallen. „Nichts gegen Erhan wirklich, aber…“ Meine beste Freundin hat den Kellner entdeckt, lächelt kurz, versucht aber unbeirrt, weiterzureden. „Aber…“, sie fängt an zu lachen, reißt sich wieder zusammen und schaut mich an. „Allgemein sollten Freunde keine Gruppenarbeiten machen. Man muss Freundschaften und Business trennen.“
Ich verdrehe die Augen und lasse meinen Blick zum Kellner schweifen. „Das ist eine Uni-Gruppenarbeit. Kein Business.“ Er sieht wirklich gut aus.
„Du siehst, das klappt aber so nicht. Wir können nicht effizient arbeiten.“ Sie zündet sich eine Zigarette an. 13.55 Uhr. Immer noch keine Spur von Erhan. „Emma. Erhan ist unser Freund. Kein ‚Humankapital’, das du effizient einsetzen willst. Vielleicht hat er Stress…“ Das BWL-Studium hat sie verändert. Ihr Denken verändert.
„Das meinte ich doch auch gar nicht so!“, sie wühlt in ihrer Handtasche, kramt noch eine Zigarette heraus und steckt sie zwischen meine Lippen.
„Entspann dich!“
Vor dem Studium hat sie nicht geraucht. Und ich auch nicht.
„Ich mag Erhan. Wirklich!“, beteuert sie und zündet meine Zigarette an: „Zieh.“
Der Kellner kommt an unseren Tisch. Mustert mich neugierig. Ich senke den Blick.
„Ein Kaffee bitte, schwarz ohne Zucker.“ Emma fährt mit den Fingern durch ihr Haar und lächelt ihn an.
„Für mich bitte einen Weißwein… und eine Cola“, sage ich.
„Light“, ergänzt Emma und zieht theatralisch an ihrer Zigarette.
„Sowas zieht nicht“, flüstere ich ihr zu und drücke den Stummel aus.
14.02 Uhr. Erhan betritt das Café. Wir winken ihm zu.
„Ach, auch schon da? Was verschafft uns die Ehre?“, ruft Emma ihm zu.
„Sorry, ich musste noch was erledigen…“ Ich schiebe ihm die Cola-Light zu.
„Danke…“, murmelt er. „Aber ich faste doch.“
„Hör mal…“, Emma will wieder loslegen. „Die paar Stunden, dann ist es sowieso dunkel und …“
„Ey, ich muss in zwanzig Minuten los“, unterbreche ich. „Lasst uns wenigstens das Wichtigste besprechen.“
„Warum musst du denn jetzt schon wieder los?“
„Ich muss dringend zu meinen Eltern…“
„Also gut, dann mal los.“ Emma zieht die Cola-Dose an sich. „Und Dank dem edlen Spender.“
Erhan lacht. Ich kenne dieses Lachen.
*
Sitze in der Straßenbahn und sehe das Revier der Oberschicht an mir vorbeiziehen. Einfamilienhäuser mit Gärten. Mutter liebt Blumen. Sie hat sich immer einen Garten gewünscht, in dem sie Beete anlegen kann. Beim Putzen hat sie sich den Rücken kaputt geschuftet, für ein Einfamilienhaus mit Garten hat es längst nicht gereicht. Jetzt muss sie ihre frühzeitige Rente aufstocken. Existenzminimum.
Mutter konnte sich nie Blumen beim Floristen leisten. Früher hat sie manchmal abends beim Spazierengehen heimlich vom Straßenrand Tulpen gepflückt und sie mit nach Hause gebracht. Sie standen so lange im Wohnzimmer in der Vase, bis sie verwelkt waren. Erst dann hat Mutter sie schweren Herzens in den Mülleimer geworfen. „Blumen sind wie Balsam für die Seele“, hat sie mir erklärt, als ich noch ein Kind war. Ich habe ihr damals Gänseblümchen gepflückt.
Nach zwanzig Minuten nähert sich die Straßenbahn den Wohntürmen. Sozialsiedlung, sagt man. Oder klassisch auch Hochhaus-Ghetto. Noch zwei Stationen. Ein Mann mit weißem Haar steigt in meinem Abteil ein. Er riecht streng nach einer Mischung aus Urin, Erbrochenem und Bier. Sieht müde, kaputt aus. Will sich erst neben mich setzen, entscheidet sich aber anders. Jetzt sitzt er mir schräg gegenüber und starrt mich an. Ich senke den Blick. Er hält zwei Plastiktüten mit Pfandflaschen auf seinem Schoß, fest umklammert. Zwischen Daumen und Zeigefinger hält er seine Fahrkarte hoch. Als wollte er beweisen, dass er nicht Unrechtes tut, dass Flaschensammeln ihn nicht zu einem Kriminellen macht. Dann steht er auf, ganz plötzlich, kommt auf mich zu und streicht über mein Haar.
*
In der 17. Etage stehe ich vor der Haustür mit einem Strauß Blumen für Mama. Ich klingle Sturm. Es riecht im Flur nach Hähnchen und Reis. „Salam, meine Liebe“, begrüßt mich Mutter, als sie endlich die Tür öffnet. Sie drückt mir Küsschen auf die rechte und linke Wange. „Wow meine Liebe, sind die Blumen für mich? Du bist doch selbst eine hübsche Blume. Mach doch sowas nicht. Blumen sind teuer. Ich gebe dir das Geld. Komm rein. Hast du Hunger?“
Ich ziehe meine Schuhe aus und stelle sie zu den anderen vor die Tür. Es sind mehr als sonst. Ich glaube, wir haben Besuch. Als ich das Wohnzimmer betrete, sehe ich Oma, Opa, Papa und noch zwei weitere Gäste am Esstisch sitzen. „Geh und begrüß auch die Tanten“, flüstert mir meine Mutter zu. Mit Tanten sind die zwei fremden Gäste am Esstisch gemeint. Küsschen hier, Küsschen da. Hallo fremde Tanten. Ja, danke, ich bin echt groß geworden, ich weiß. Mashallah. Achso ja, Oma hat euch Bilder von mir gezeigt. In echt sehe ich also viel hübscher aus, ja? Wie gut, dass eure Meinung mich interessiert. Ich grüße alle.
„Fastest du, mein Kind? Tust du es?“, fragt mich meine Oma. Ich lächle sie an. Ich tue es Oma, aber ja doch, aber nicht das Fasten.
„Nein Oma, du fastest doch auch nicht.“
„Ich bin auch alt. Du bist voller Kraft, Sara! Aber macht nichts. Gott möge dich behüten.“
Ich löffle Reis auf meinen Teller.
„Ein wirklich hübsches Mädchen. Bist du in festen Händen?“, möchte Tante Nr. 1 wissen. Entzückend, das habe ich mir immer schon gewünscht. Mit Fremden gleich über meine Beziehung reden zu dürfen!
„Nein, ich bin Single.“ Von Max sollte ich in der Runde besser nichts erzählen.
„Wie alt ist sie denn?“, möchte sie von meiner Mutter wissen. Hallo? Ich sitze mit am Tisch. Du kannst auch mit mir reden.
„Sara ist ein gutes Mädchen, sie ist erst 23. Noch so jung. Sie denkt noch gar nicht an so Sachen wie einen ‚Freund’ haben.“ Mutter serviert Schwarztee und Gewürzkuchen.
„In dem Alter hatten wir alle schon Kinder!“, erinnert sich Tante Nr. 2. Soll das jetzt ein Vorwurf sein?
„Gute Mädchen sind selten geworden. Gott sei Dank, ich weiß doch, dass deine Tochter dazu gehört. Sie hat einen guten Ruf. Das wissen die Nachbarn. Die Jugend von heute ist aber wirklich kaputt. Vor allem die Mädchen. Wie sie immer in ihren Miniröcken rumlaufen.“
„Sara hat für sowas keine Zeit. Sie ist viel beschäftigt, immer am Lernen“, erzählt meine Mutter. „Sie studiert.“
„Ja, die Augenringe. Von irgendwoher müssen sie ja kommen. Kind, warum schuftest du dich so ab? Du bekommst früh Falten“, sagt Tante Nr. 1 und schlürft an ihrem Tee. „Benutzt sie denn Gesichtscreme? Es gibt viele reiche Männer. Du bist doch so hübsch mein Schatz. Wir Frauen altern schnell. Halt dich ran. Nur ein paar Jahre. Dann drehst du dich um und niemand ist mehr übrig. Wenn die Schönheit erst weg ist…“, sie seufzt.
„Schönheit ist nicht so wichtig.“ Ich kann mich nicht mehr zurückhalten.
„Sara, der Wert einer Frau steht und fällt mit ihrer Schönheit. Schau: Wir sind alt. Uns guckt keiner mehr an!“, sagt Oma. Oh Oma. Der Appetit ist mir vergangen.
„Meine Nichte Mariam hat einen Sohn, Mohammad, der ist 26. Gute Familie. Wirklich ein guter Junge. Die wohnen am anderen Ende der Stadt. Ich kann euch mal vorstellen“, erklärt Tante Nr. 1.
Ach so. Verstehe worauf das Ganze hier hinausläuft. Raffinierte Tanten habe ich.
„Papa, du wolltest mir noch was zeigen.“ Ich hoffe, mein Vater versteht den Wink. „Ich muss nämlich leider auch gleich gehen…“, entschuldige ich mich bei den Kupplerinnen und stehe auf. Die Tanten sind enttäuscht.
„Ja komm, es sind ein paar Briefe.“
„Wir beten für dich, mein Schatz! Hoffentlich bleibst du immer so hübsch und gesund.“
Wie süß von Tante Nr. 2.
*
Ich bin sozusagen eine Verwaltungsfrau. Seit ich ein junges Mädchen bin, übersetze ich offizielle Schreiben. Das ist eine Art Langzeitausbildung. Ich könnte glatt in einer Behörde arbeiten und hätte wahrscheinlich mehr Ahnung als die meisten Verwaltungsbeamten. Das hat sich in der Gegend herumgesprochen, denn dauernd rufen mich Leute an und wollen etwas übersetzt haben, vom Behördendeutsch in eine verständliche Sprache. Sogar Deutsche sind darunter. Meine Nummer wird einfach weitergeben. Vielleicht sollte ich sie wechseln.
Ich bin wegen Papa nach Hause gekommen. Er hat Briefe bekommen vom JobCenter, die er nicht versteht. Schon seit knapp einem Monat. Bald läuft die letzte Widerspruchsfrist ab. „Ablehnungsbescheid“, lese ich.
„… leider muss Ihr Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch – SGB II (§§ 9, 11 SBG II) abgelehnt werden. Aufgrund der Höhe des anzurechnenden Einkommens sind Sie nicht hilfsbedürftig im Sinne des SGB II. Daher haben Sie keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. (…) Rechtsbehelfsbelehrung: Gegen diesen Bescheid kann jeder Betroffene (…) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch einlegen.“
Soso, nicht im Sinne des SGB II hilfsbedürftig. Aber was ist man sonst, wenn man die Miete in der Sozialsiedlung nicht mehr bezahlen kann?
Im Anhang sind noch fünf weitere Seiten mit Tabellen und Rechnungen und ein Auszug aus dem Zweiten Sozialgesetzbuch beigefügt.
„Was heißt das?“, will Papa wissen. „Krieg ich kein Geld?“ Er ist Zeitarbeiter und wird regelmäßig von der Zeitarbeiterfirma entlassen und wiedereingestellt. Für Überstunden wird er nicht bezahlt. Und an Feiertagen wird er entlassen. Weihnachten und Neujahr war das zum Beispiel so. Dann muss er Hartz IV beantragen, frei nach dem ökonomischen Prinzip: Humankapital muss effizient eingesetzt werden. Habe ich schon in der BWL-Einführung gelernt. Man kann auch ‚moderne Sklaverei’ sagen. Jährlich wird von einer sinkenden Arbeitslosenquote gesprochen. Zeitarbeiter und 1-Euro-Jobber werden von der Statistik nicht erfasst. Was bringt es, wenn frisierte Zahlen uns eine heile Welt vorgaukeln, wenn doch die Hochhaussiedlungen weiterwachsen?
„Nein Papa, die schreiben, du hast zu viel Geld.“
Papa schüttelt den Kopf: „Wir müssen doch die Miete bezahlen. Macht nichts, mein Mädchen. Ich krieg das schon hin.“ Er hat Tränen in den Augen.
„Ich lege Widerspruch ein, Papa! Ich beschwere mich bei denen, weißt du? Das geht so nicht!“
„Meinst du, das bringt was?“
„Ich versuche es wenigstens.“
„Aber hast du denn Zeit? Du musst doch lernen.“
„Kein Problem, das geht wirklich schnell. Darf ich einfach für dich unterschreiben? Dann muss ich nicht nochmal herkommen.“
„Natürlich, mach was du für richtig hältst, mein Mädchen. Danke dir.“
Ich verziehe mich in das Schlafzimmer meiner Eltern und hole meinen Laptop heraus. Emma hat mir Texte zum Bearbeiten geschickt für unsere Projektarbeit. Muss noch beim BaföG-Amt anrufen, die haben mir diesen Monat noch nichts überwiesen. Ach und Papas Widerspruch. Anna hat bald Geburtstag. Geschenke kaufen. Muss noch Wäsche waschen. Bin ich dran mit Badputzen in der WG? 17.03 Uhr. Noch drei Stunden. Dann muss ich los.
*
Emma und Erhan sitzen vor einem Laptop auf dem Sofa und trinken Bier. Erhan isst ein Sandwich. „Ich hoffe du hast gut durchgehalten!“, rufe ich ihm zu, als ich Emmas Wohnung betrete. Ein fremdes Mädchen sitzt in der Runde. Max ist noch nicht da. Ich quetsche mich zwischen Erhan und Emma.
„Sara, das ist Lisa“, stellt mir Emma das fremde Mädchen vor. Sie sitzt vor mir auf einem Stuhl. Ich warte. Lisa hat grünblaue Augen und dunkelblonde Haare. „Wo ist denn Max?“, frage ich.
„Weiß nicht, schreib ihm mal. Was willst du trinken?“
Privatchat
SARA (21:11 Uhr): Max wo bist du? ❤
„Ich nehme eine Fanta“, sage ich.
Emma nickt. „Ich bring sie dir.“
„Trinkst du keinen Alkohol?“ Lisa mustert mich.
„Jetzt gerade nicht, nein.“
„Nur jetzt nicht oder nie?“ Sie beugt sich neugierig vor.
„Jetzt“, sage ich und blicke auf den Laptop.
„Ich wurde fast schwach heute“, Erhan beißt in sein Sandwich.
„Wieso schwach?“, will Lisa wissen.
„Ich habe doch gefastet. Aber jetzt ist Fastenbrechen!“, sagt Erhan.
„Ihr fastet?“
„Ja, ich faste, aber Sara nicht.“
„Ach, Sara nicht …“, antwortet sie.
Privatchat
SARA (21:11 Uhr): max wo bist du? ❤
MAX (21:15 Uhr): Sorry, hab die Bahn verpasst. Bist du schon da?
SARA (21:16 Uhr): ja, komm mal bitte schnell. kennst du eine lisa?
MAX (21:17 Uhr): wieso?
SARA (21:17 Uhr): ich glaub, emma hat sie mitgebracht. die ist etwas komisch.
MAX (21:18 Uhr): Ja doch, die ist bei mir und Emma in einem Seminar. Die ist eigentlich voll nett 😉
SARA (21:19 Uhr): okaaaay… scheint mir jetzt nicht so. beeil dich.
MAX (21:11 Uhr): :**
„Woher kennst du Emma?“, fragt Lisa weiter.
„Aus der Schulzeit“, sagt Sara.
„… so lange schon? Und jetzt? Arbeitest du?“
„Nein. Ich studiere. Übrigens im selben Fachbereich wie du.“
„Ach, echt?“
Emma kommt mit der Fanta zurück und drückt sie mir in die Hand.
„Deine Haut, echt schön“, sagt Lisa vorsichtig. „So glatt. Und deine Haare. Sind die echt?“
„Sie sind so echt wie meine.“ Emma hält ein paar Strähnen vor Lisas Gesicht. „Willst du mal dran ziehen?“
„Ich… würde lieber über ihre Haare streichen. Darf ich mal anfassen?“, fragt sie mich.
„Das darf nur Max“, antworte ich.
„Seid ihr zusammen? “
Max steht hinter mir und wuschelt durch meine Afrolocken.
*
Ich wollte nie berühmt sein. Viele mögen wahrscheinlich den Gedanken, eine wandelnde Ausstellung zu sein. Ein wandelndes Kunstwerk. Sie mögen es, immer und überall angesehen zu werden. Erkannt zu werden. Angestarrt zu werden. Emma zum Beispiel. Sie hat ja keine Ahnung.
Es gibt bestimmt auch Menschen, die genießen es, ständig von Fremden angefasst zu werden. Ich gehöre nicht dazu. Ich mag das nicht, wenn sie kommen und über meine Haut streichen wollen. Oder über mein Haar. Wie gesagt, ich wollte nie berühmt sein. Es gibt aber Dinge im Leben, über die entscheidet man nicht selbst. Das Schicksal, der Zufall oder eben Gott entscheidet darüber. Ich musste also das Schauspielen leben lernen. Ich wurde zum Kunstwerk gemacht. Aber ich wollte nie berühmt sein.
Dieser Text wurde in leicht abgeänderter Form unter dem Titel „Zwischen den Blicken“ veröffentlicht in:
- „Gesammelte Werke“ – Jugend-Literaturpreis 2015
Auszeichnung:
- Jugend-Literaturpreis 2014/15 der OVAG (Preisträgerin)