Shortstory: Anzugträger

Poetry & Prosa

Über Businessröcke, eine gläserne Decke und den Herrn Vorgesetzten. Diese Shortstory wurde 2017/18 mit dem 3. Platz des Nachwuchsautorenpreises „Hessischens Literaturforum Hesse-Thüringen ausgezeichnet.

Mein Rock rutscht immer wieder hoch. Im 21. Jahrhundert ist das in Ordnung. Dann sieht man die Knie eben entblößt, und überhaupt, was soll so erotisch sein an einem Knie, dass ich es nicht zeigen dürfte, ein Knie ist doch kein Dekolleté. Und selbst wenn man zwei wohlgeformte Knie für einen Ausschnitt hält, deshalb sollte Frau sich nicht schämen.

Den Rock, es ist ein Businessrock, habe ich letzte Woche gekauft, als ich erfahren habe, dass ich befördert werde. In einer dieser Boutiquen, an denen ich früher vorbeigelaufen bin. Ich habe immer gedacht: Ja wer kauft hier eigentlich ein, und mit welchem Geld, es ist unnütz, so viel Geld für Röcke, Businessröcke auszugeben, in denen ich nicht laufen kann. Aber nun trage ich diesen engen Rock, der immer wieder hochrutscht, über mein Knie, ich ziehe ihn dann eilig runter. Jetzt bin ich spät dran, für die Besprechung, wegen der kleinen Schritte, die ich nur machen kann, und wegen der Schuhe, diese Schuhe mit den hohen Absätzen, wenn sie nur nicht so drücken würden.

Von weitem sehe ich den Wolkenkratzer, zähle die Etagen, ich werde nicht mehr in der 14. Etage, im Großraumbüro, sitzen. 19. Etage, 20., 24., bis zur 27. Etage. Dort oben werde ich ab heute arbeiten, dort ist mein erstes eigenes Büro, fast ganz oben, in der 33. Etage. Heute ist mein großer Tag. Kollegen laufen an mir vorbei, mustern mich von oben bis unten, und nicken mir zu, nicken, nicken und nicken. Heute stehe ich oben, sage ich, als ich den Haupteingang meines Wolkenkratzers betrete. Ich gehe an der Rezeption vorbei, ich nicke der Dame an der Pforte zu, ihr Rock bedeckt die Knie. Ich ziehe meinem Rock runter und eile zu den Fahrstühlen.

Erdgeschoss

Ich drücke auf den Knopf, und warte auf den Fahrstuhl, es gibt sieben Fahrstühle, eigentlich sind es acht, aber ein Fahrstuhl ist seit Ewigkeiten defekt, seit dem Tag, an dem ich angefangen habe, hier zu arbeiten, das ist lange her, und warum sollte man Geld für die Reparatur verschwenden, wenn doch sieben Aufzüge fahren und keiner sich beschwert.

Der Fahrstuhl geht auf, ich gehe als Erste rein, meine Kollegen folgen, sechs, sieben, acht Männer. Es ist voll, denke ich. Es ist voll, sage ich. Der neunte Mann drückt sich aber noch rein, freudiges Lachen, ich habe es geschafft, bin auch noch drin, hier ist alles ein Wettbewerb.
Die Tür geht zu. Peinliche Stille, und plötzlich eine Hand auf meinem Hintern, kann mich nicht umdrehen, will etwas sagen, die Hand krallt sich fest, die Hand löst sich wieder. Der Aufzug hält in der sechsten Etage. Mach keine Szene, denke ich, während Anzugträger den Aufzug verlassen, betreten und ‚nen schönen Tag’ vor sich hinmurmeln. Aufzug geht zu. Ich drücke mich gegen die Wand, ein Anzugträger grinst mich von der Seite an.

Versuche immer abends, bevor es dunkel wird, meine Wohnung zu erreichen, ich bin eine erwachsene Frau, aber was nützt das, an meinem dreizehnten Geburtstag hat mir Mutter ein Pfefferspray geschenkt. Nach Einbruch der Dämmerung halte ich immer die Sprühdose fest in der rechten Hand, wenn ich durch die Straßen laufe. Aber was nützt das alles, was nützt mir mein Pfefferspray in der Handtasche morgens im Aufzug.

14. Etage

Ich habe Christian versprochen, dass ich ihn abholen werde für das Meeting auf der 24. Etage. Er sitzt im Großraumbüro, wir haben uns noch bis Freitag einen Schreibtisch geteilt. Als ich das Büro betrete, dreht er sich auf seinem Schreibtischstuhl um, schaut mich an und pfeift durch die Zähne. Ich verdrehe die Augen und lache, nun komm, wir sind spät dran. Jaja, komme ja schon, siehst sehr gut aus, der Rock steht dir gut, hast du abgenommen, dreh dich mal um, Christian jetzt komm!

Christian war derjenige, der sich für mich eingesetzt hat, damit ich auf der 27. Etage arbeiten kann, damit ich aufsteige, wir mussten uns gegen viel Gegenwind stemmen, aber das hat ihn nicht davon abgehalten, an meiner Seite zu stehen. Sie sagten, ich sei eine machtgeile eingebildete Zicke, eine dreckige Schlampe, und seit offiziell bekannt ist, dass ich den Posten bekommen habe, behaupten sie, dass ich nur eine Quotenfrau sei. Quotenmänner, sowas gibt’s nicht. Erst später habe ich erfahren, dass Christian auch auf der Liste der Kandidaten stand, er hat aber für mich verzichtet.

Damit nicht nur Anzugträger oben sitzen, hat er erklärt. Dafür musste ich versprechen, ihn vor jeder Besprechung abzuholen. Am Aufzug gehen wir noch einmal alle Fakten für das Meeting durch. Christian drückt auf den Fahrstuhlknopf. Er fragt, ob ich den Budgetplan fertig gestellt habe, wie denn mein Wochenende war, ob ich schon oben in meinem neuen Büro war. Nein, sage ich, war ich noch nicht, war heute Morgen spät dran. Ziehe meinen Rock über die Knie. Wir steigen in den Fahrstuhl, Christian steht hinter mir. Ich weiß, dass er weiß, dass ich keine Lust auf diese Besprechung habe, und er weiß, dass ich weiß, dass er auch nicht nach oben will.

24. Etage

Als wir den Besprechungsraum betreten, sitzt schon unser Vorgesetzter auf seinem Drehstuhl. Er sitzt genauso breitbeinig wie die junge Frau in Unterwäsche, das Ölgemälde hängt hinter ihm an der Wand. Es sieht so aus, als hätte er von ihr gelernt sich so hinzusetzen, sie ist sein Vorbild, ja, rede dir das ruhig ein, das hilft.

Kollege V. und Kollege K. betreten auch den Raum. Die Besprechung beginnt. Erster Tagesordnungspunkt, das knappe Budget, wir organisieren eine mehrtätige Großkonferenz, wir haben wenig Zeit. Wir müssen Gelder auftreiben, können Sie nicht das Sponsoring übernehmen, fragt der Herr Vorgesetzte, Sie als Frau würden bei den Sponsoren mächtig Eindruck machen, Sie tragen genau dieses Outfit bei den Verhandlungen, sieht übrigens sehr gut aus. Kollege V. und Kollege K. nicken heftig. Vielleicht, denkt Herr Vorgesetzter laut, vielleicht sollten Sie einen dunkleren Lippenstift vorziehen, dann werden sicher Gelder fließen. Er lächelt zufrieden. Ich muss fast kotzen und nicke. Haben Sie denn schon Redner, fragt er, Sie müssten sie schon frühzeitig anfragen. Christian liest die Namen vor. Was sind das denn für Frauen, ruft Herr Vorgesetzter. Noch nie gehört, Kollege V. und Kollege K. nicken heftig, wir machen das wie immer, schließlich sollen Gäste kommen, wichtige Gäste, bei den Frauen wird niemand kommen. Er knallt seinen Ordner auf den Tisch. Christian wirft mir einen Blick zu, entschuldige, will er bedeuten, entschuldige. Christian weiß, dass ich weiß, dass es ihm ehrlich leidtut.

Als ich dann aufstehe und aus dem Raum stolpere, als ich meinen Rock ein Stück reißen und meine Kollegen lachen höre, da habe ich das Gefühl, dass es an der Zeit ist, auch den Rest von dem Rock zu zerreißen und mit großen Schritten davon zu gehen.

 

Dieser Text wurde veröffentlicht in:

Auszeichnungen:

  • Junges Literaturforum Hessen-Thüringen 2018 (3. Platz)
  • Jugend-Literaturpreis 2017/18 der OVAG (Preisträgerin)

Du magst die Story lieber hören? Hier klicken, um auf das Hörbuch ‚Jugend-Literaturpreis 2017‘ der OVAG zu kommen.


Berichterstattung:

 

 

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